heinz

Über ihr künstlerisches Schaffen

Über Ursula Vögtlin-Breitgraf

von Elvira Meisel-Kemper · Kunsthistorikerin/Journalistin

Ursula Vögtlin-Breitgraf verbindet menschliche Weisheit mit dem Blick in die Seele in ihrer Kunst, die technisch und inhaltlich sehr vielfältig ist. In Gemälden, Tonplastiken, Druckgrafiken und Aquarell-Papierschnitten äußert sie das, wo andere ganze Seiten voller Text brauchten. Vögtlin verbindet die Erzählfreude in ihrer Kunst mit der Fabulierlust von Märchen, Gedichten oder selbst beobachteten Szenen, denen sie mit ihrer eigenen Symbolsprache begegnet.

Auffällig ist der Kontrast zwischen linearer Abgrenzung und malerischer Fläche, zwischen der Härte der Striche und der Weichheit der Farbe. Beides behandelt sie gleichberechtigt. Sie verschmilzt es zu einer Einheit, die von dem traditionellen Papierschnitt wegführt. Ähnlich wie der Scherenschnitt lebt der traditionelle Papierschnitt aus dem Schwarz-Weiß-Kontrast. Die Aquarellfarbe setzt sie modulierend ein, ohne den tragenden Schwarz-Weiß-Kontrast zu überlagern. Sie nutzt nur begrenzte und reduzierte Flächen, die sie mit der Farbe mal pastos und weich, mal kräftig und kontrastreich nutzt. Auffällig ist die häufige kristalline Brechung der Farbflächen, die an die Frühzeit des Kubismus erinnert.

Natürlich gehört der Kubismus zur Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa dazu. Vögtlin wurde 1939 in Essen in eine ganz andere Kultur hinein geboren, die jegliches avantgardistisches Denken unterdrückte. Nach 1945 sah das zum Glück schon wieder ganz anders aus. Das Abitur war musisch-werklich geprägt. Sie wurde Lehrerin und hat sich stets weitergebildet und damit auch weiterentwickelt. Kurse an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen gehören dazu, wie die Teilnahme an der Art Didacta in Innsbruck. Die Europäische Akademie der bildenden Künste in Trier und die Schule für Gestaltung in Basel waren häufige Stätten der Weiterbildung für die kreative und experimentierfreudige Künstlerin. Ihren Mann Heinz lernte sie auf Mallorca kennen. Seit 1966 lebt sie deshalb im schweizerischen Grellingen bei Basel.

Seit 1986 zeigt sie ihre vielseitige Kunst auf Ausstellungen. In Süddeutschland, Österreich, Schweiz und Norditalien liegt der Schwerpunkt ihrer öffentlichen Präsentationen. Im Fernsehsender France 3 erschien 1994 ein Künstlerporträt von ihr. 2000 war sie Preisträgerin der Wanderausstellung «KNIPPERS» Holland und 2008 wurde ihr der Kulturförderpreis der GRG verliehen. Sie illustrierte Bücher, schuf Bildserien mit eigenen Texten, verlieh Plakaten und Signets mit ihrer Kunst eine eigene Note. 1992 machte sie auf der Internationalen Uhren- und Schmuckmesse in Basel auf sich aufmerksam, als sie ein Uhrenzifferblatt öffentlich vorstellte, das nach ihrem Entwurf gestaltet wurde. Die meisten ihrer Kunstwerke befinden sich in Privatbesitz oder in öffentlichen Institutionen im In- und Ausland. Im Heimatmuseum Tirol hat sich mittlerweile eine eigene kleine Sammlung ihrer Arbeiten formiert.

«Bilder sind für mich das Tagebuch der Begegnungen. Wenn mich ein Erlebnis berührt, setzen sich die Schwingungen der Seele in meinen Werkzeugen fort»; äußerte sie sich selbst zu ihrer Kunst, die sie auch als «Handschrift des Herzens» bezeichnet. Musik und Kreativität hat ihr Leben bisher geprägt. Das passt zu ihrem Stil, der genauso wie die Technik sehr breit gefächert ist.

Symbole spielen eine große Rolle in ihren Kompositionen. Sie sind Ergebnis der Meditation im Schaffensprozess, der immer wieder Kreise und Kreissegmente als Zeichen der Vollkommenheit hervorbringt. Das, was sie bei ihren Mitmenschen beobachtet jenseits der Sprache, wird bei ihr zu einer Ganzheit der Komposition. «Meine Bilder leben aus dem ganzen Menschen im Tanz der Linien, aus der Musikalität von Rhythmus und Komposition», fasst sie ihre eigene Kunst zusammen. Gewachsen aus den Strömungen und der Menschlichkeit des 20. Jahrhunderts sind ihre malerischen Papierschnitte Botschafter einer beinahe zeitlosen Kunst des 21. Jahrhunderts.

Tagebuch der Begegnungen

  Deutscher Scherenschnittverein e.V.

von Antje Buchwald M.A. Kunsthistorikerin, 20. Februar 2010

Tagebuch der Begegnungen

Die Kunstwerke Ursula Vögtlin’s zeichnen sich durch eine vielfältige Bildsprache aus. Zentral ist für sie die Darstellung von Mensch, Natur und Kultur, die sie in unterschiedlichen Techniken, wie Grafik, Aquarell oder aber auch Plastik ausübt. Die Bilder sind für sie ein „Tagebuch der Begegnungen“.

Aus dem Scherenschnitt entwickelte sie 1993 eine eigene Mischtechnik – eine Kombination aus Scherenschnitt (Grafik) und Aquarell (Malerei), die sie „Aquarell-Scherenschnitt“ nennt: „Sobald ich mich in einer Technik gut auskenne, reizt mich eben eine neue“, erklärt Ursula Vögtlin. Die schwarzen Papierlinien- und flächen, die eine leichte reliefartige Wirkung evozieren, werden in Farbe weitergestaltet. Es entsteht ein überaus harmonisches Ganzes.

Seit 1985 übt Ursula Vögtlin die Technik des Scherenschnitts aus und seit diesen Anfängen bezog sie u.a. ihr Themenrepertoire aus dem religiösen Leben. Sicherlich trug ihr christliches Elternhaus sowie ihre Ausbildung zur Religionslehrerin hierzu bei. So stellte sie „Laufentaler- und Thiersteiner Kapellen im Scherenschnitt in Kombination mit geschichtlichen Texten dar, oder sie geht den Kreuzwegstationen Christus nach, die als Buchmanuskript vorliegen.

Frau am Jakobsbrunnen

Der Aquarell-Scherenschnitt „Frau am Jakobsbrunnen“  ist eine bildliche Auslegung des Johannes-Evangeliums (4-5, 42): Jesus bittet um die Mittagszeit eine samaritanische Frau um „lebendiges Wasser“. Damals bedeutete „lebendiges Wasser“ fließendes Wasser, etwa Wasser aus einem Fluss. Mit diesem damals vertrauten Bild vergleicht Jesus das Geschenk Gottes, im Glauben an ihn von aller Schuld befreit zu werden. Ursula Vögtlin gelingt es mittels Rot- und Gelbtönen die Stimmung zur Mittagszeit im Betrachter zu beschwören. Die Figur des Jesus löste sie in eine Quelle auf – eine Quelle, die ewig sprudelt, die bis ins ewige Leben reicht. Das Wasser symbolisiert hier den Heiligen Geist, der all denen verheißen ist, die das Angebot Gottes annehmen.

Petrus am See Tiberias

Ein anderer Aquarell-Scherenschnitt bezieht sich auf „Petrus am See Tiberias“ (Joh, 21, 1-14): Die Jünger, unter ihnen auch Simon Petrus, beschließen zu fischen. Aber während der ganzen Nacht fangen sie nicht einen Fisch. Als die Sonne aufging, stand Jesus am anderen Ufer. Die Jünger wussten aber nicht, dass er es war, denn Jesus erscheint seinen Jüngern nach seiner Kreuzigung. Auf sein Geheiß hin werfen sie die Netze erneut aus und fangen hundertdreiundfünfzig Fische. Ein Jünger erkennt Jesus und sagte zu Petrus: „Es ist der Herr!“ Daraufhin sprang Petrus in den See Tiberias und schwamm zu Jesus.

Ursula Vögtlin hält diesen dramatischen Moment fest. Für sie will Petrus allerdings über das Wasser laufen, er zweifelt an sich und droht im Wasser zu versinken. Im Profil mit abstrahiertem Arm, der aus dem Wasser ragt, sehen wir Petrus. Jesus als abstrahierte Figur am anderen Ufer hebt seinen Arm. Eine Art Glorie umgibt ihn. Mit dieser Interpretation der biblischen Szene verweist Ursula Vögtlin auf die Wirkkraft Jesus, die auch nach seinem Tod nicht endet, der Zweifelnde findet zu seinem Glauben.

Maria Meerstern

„Stella maris“ – Meerstern – ist ein schmückender Name für Maria. Unter diesem Namen ist sie die Schutzpatronin der Seefahrer und symbolisiert den rettenden Stern, der ihnen den Weg weist. Als Stern der Meere hier dargestellt, trägt Maria ihren Sohn auf dem Arm. Sie leuchtet den Hilfesuchenden und zeigt ihnen den Weg. Inspiration für dieses Bild war ein stürmischer Sonntagmorgen in Irland. Ursula Vögtlin saß am Meer und hörte die ferne Melodie des Liedes „Meerstern ich dich grüße, oh Maria hilf“. „Vor meinem inneren Auge sah ich Seefahrer in Not, die verzweifelt um Hilfe riefen, und so verschmolz der Inhalt des Liedes mit dem Strand und dem Meer, an dem ich saß. Die Idee zum Bild war geboren“, erinnert sie sich.

Ursula Vögtlin findet für die vorgestellten biblischen Szenen eine abstrahierende Bildsprache, die es erlaubt, Raum zu lassen für eigene Interpretationen. Sie hebt die Symbolik der Texte hervor, indem sie sie in ihre ganz eigene Bildsprache übersetzt.

Meine Bildsprache

Viele Sprachen gibt es: Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch. Die Reihe würde lang, wollte ich alle aufzählen, – doch bei dieser Ausstellung rede ich nicht mit Worten, sondern in Bildern – und hoffentlich klar und verständlich, denn Dichtung, Malerei, Musik und Tanz, alle diese verschiedenen Ausdrucksformen sind Verständigungsmittel. Zwar kann man auch Selbstgespräche führen, doch ich möchte Ihnen als Ansprechpartner einen Teil meiner Welt schenken.

Bilder sind für mich das Tagebuch der Begegnungen. Wenn mich ein Erlebnis berührt, setzen sich die Schwingungen der Seele in meinen Werkzeugen fort. Stift, Pinsel und Schere werden zur Verlängerung der Hand. Eindrücke nehmen in dem Bild Gestalt an. Linien sind nie gleichmässig breit. Da ist ein kraftvolles Ansetzen, ein leichtes Abheben, Kreise schwingen aus dem Handgelenk und formulieren sich auf dem Papier. Linien wachsen zu Flächen aus, öffnen sich, und der schwarze Denkanstoss in Papier erweitert sich zur Farbe und gestaltet sich weiter im Aquarell als Verschmelzung von Grafik und Malerei.

Meine Bilder leben aus dem ganzen Menschen im Tanz der Linien, aus der Musikalität von Rhythmus und Komposition. Oft formuliert sich gleichzeitig ein Gedicht zur Einheit von Wort und Bild. Aus allem spricht Symbolik, die aus der Meditation im Schaffensprozess entsteht, Kreise als Zeichen der Vollkommenheit, Symbolik der Zahlen, christliche Zeichen, usw.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Schauen Sie sich ihre Mitmenschen an! Sie sprechen auch ohne Worte – mit den Augen, mit ihren Gesten, ihrer Körperhaltung. Wir sind von Schriftsymbolen, Verkehrssymbolen und vielen anderen umgeben. Ist nicht die ganze Welt Symbol für etwas?

Ich wünschte mir, dass auch Sie einen Teil Ihrer selbst in meinen Bildern finden, sie sind Handschrift der Herzens.

Wo liegt der Unterschied zwischen Kunsthandwerk und Kunst? Das Kunsthandwerk gestaltet schöne Objekte für eine bestimmte Zeit.

Die Kunst beinhaltet zusätzlich die Schwingungen der Seele, die auch nach Jahrhunderten noch weiterschwingen und uns berühren.

Ursula Vögtlin-Breitgraf

Persönliches

Ausbildung: Abitur musisch – werklich, Berufsausbildung als Lehrerin, Kurse an der Folkwangschule für Gestaltung, Essen – der Art Didacta, Innsbruck – der Europäischen Akademie der bildenden Künste, Trier – und an der Schule für Gestaltung, Basel

Tätigkeiten: Lehrerin – Kursleiterin in der Erwachsenenbildung – Mitglied der Sektion  „Bildende Künstlerinnen“, Internationaler Lyceum Club CH-Basel

Ausstellungen: Seit 1986 über fünfzig Einzel– und Gruppenausstellungen in der Schweiz (Kantone BS, BL, VS, AG, SO, TI, ZH) und

im Ausland Deutschland (Düsseldorf, Berlin, Bonn, Nürnberg, Holzminden, Vreden) – Österreich (Tirol, Wien) – Holland (Ede, Goes)

Publikationen in Zeitungen – Illustration von Büchern – Kalendern und Zeitschriften – Künstlerporträt im Fernsehen FRANCE 3 1994

Bücher: „Laufentaler und Thiersteiner Kapellen“, Scherenschnitte, Geschichte und Geschichten, ISBN: 978-3-85792-305-0, publiziert 2009

Kinderbuch „SUM & TOM“, Verlag und Buchshop: BoD-Books on Demand, D-22848 Norderstedt ISBN: 9783837029826, publiziert 2014

Preisträgerin der Wanderausstellung 2000 „KNIP-PERS“ Holland – Anerkennungspreis 2008 der „Gesellschaft Raurachischer Geschichtsfreunde“ für ihr kulturelles und künstlerisches Schaffen

Die Werke befinden sich in Privatbesitz, in öffentlichen Institutionen im In– und Ausland, sowie im Heimatmuseum Tirol und im Ersten Deutschen Scherenschnittmuseum Vreden. Sie sind das Tagebuch der Begegnungen mit den Menschen, der Natur und der Kultur.

Techniken: Scherenschnitt –  eigene Mischtechnik „Aquarell – Scherenschnitt“ –  Druckgrafik (Kupferstiche -Radierungen) – Aquarell – Plastiken